Der Nestelbrauch

Im Bericht vom 26. Januar haben wir auch davon berichtet, dass die Frauen der Initiatoren „Nesteln“ knüpfen. Daraufhin wurde mehrmals die Frage gestellt, was das denn sei. Nun also: Jeder Teilnehmer erhält so eine Nestel. Was es damit auf sich hat, erklärt der folgende Bericht:

Die „Nestel“ (Schnur oder Riemen, an beiden Enden mit Metallstiften versehen, um etwas zusammen zu schnüren), gehörten ursprünglich in das Rechtswesen und die Zauberei. Zentschöffen z.B. erhielten im Fränkischen ein Dutzend Nesteln, um sie als für ihr Amt tauglich erscheinen zu lassen. Den Nesteln schrieb man grundsätzlich magische Kraft zu oder besser gesagt: die Knoten, die man in den Nesteln knüpfte, konnten Segen oder Unheil stiften. Das „Nestelknüpfen“ hieß leteinisch daher „Ligatura magica“, man sprach auch von „Maleficium ligminis“, hier wurde das Nestelknüpfen direkt als Hexenkunst und Übeltat eingestuft. Die den Nesteln innewohnende Zaubermacht konnte jedoch auch Gutes bewirken. Im Falle der Kaufmannszüge sollten sie Räuber und Diebe fernhalten, die Kaufleute vor Betrug schützen und ihnen lohnende Geschäfte einbringen.

Abgesehen von dieser bis in graue germanische Vorzeit zurückreihenden zauberischen Bedeutung der Nestel als Amulett, Talisman oder zur Abwehr von Schadenzauber, darf man der Nestel auch eine ganz banale Wirkung zuschreiben, die Förderung des „Wir-Gefühls“. Wer solche Nestel nach außen sichtbar trug, der gehörte „dazu“, sei er nun Kaufmann, Geleitsreiter oder Beamter, der sich um das Geleit zu kümmern hatte. Die Nesteln machten also aus dem bunt zusammengewürfelten Haufen eine Schicksalgemeinschaft. In diesem Bestreben, Kooperationen zu stiften, zeigt sich ein typisch mittelalterlicher Wesenszug. Ob es sich um Zünfte, Gilden, Genossenschaften, Verbrüderungen, Orden, Bünde usw. handelte, stets waren es sichtbare Zeichen oder Rituale, die solche sozialen Körperschaften nach außen repräsentierten und auch abgrenzten.